Osttürkei: auf kurdischer Hochzeit, fliegen am Van-See und ein Glücks-Büsi

Der Grenzübertritt heisst auch, dass wir den Ararat jetzt von so ziemlich jeder Seite sehen. Es ist eigentlich ein wichtiger Berg für Armenien, schliesslich soll auf ihm die Arche Noah gelandet sein, er befindet sich aber auf türkischem Gebiet. Nur von weitem kann man ihn aus Jerewan sehen… dafür wird alles nach ihm benannt – Bars, Banken, Biere.

Ararat (Ağrı Dağı) von allen Seiten

Zwei Grenzüberquerungen später und die Grösse der Türkei unterschätzt endet darin, dass wir irgendwo neben der Hauptstrasse anhalten um zu übernachten. Und dabei fast weggeblasen werden. Es tobt ein unglaublicher Wind, Böen reissen den Bus hin und her und an Schlaf kann ich zumindest kaum denken. Dafür regnete es auch so heftig und von so vielen Seiten prasselt das Wasser auf uns ein, dass der Bus am nächsten Morgen seit Langem endlich wieder sauber da steht. Auch nicht schlecht. Irgendwo finden wir ein öffentliches Hamam und Luca bekommt eine seit längerem ersehnte heisse Dusche. Nur Luca, da an diesem Tag nur Männer in die Hamams dürfen. Wir besuchen eine Salzhöhle (Tuzluca), tuckern ein bisschen durch die Gegend und sind auf der Suche nach Wasser. An einer ziemlich abgelegenen Stelle finden wir einen Brunnen – trocken.

Gastfreundschaft und Kuchen backen

Auf einmal geht das gegenüber dem Brunnen liegende Tor auf und ein älterer Mann bittet uns herein. Wir stehen in einem riesigen Garten mit hunderten Apfelbäumen, einem selbstgebauten Springbrunnen, mehreren Grundrissen für Steinhäuser… „Ararat Gardens“ ist der Traum eines Mannes, der hier vor Jahren hergezogen ist, um mit dem Stadtleben abzuschliessen und sein Glück in der Natur zu finden. Er lädt uns auf Tee ein, wir dürfen uns an den Äpfeln bedienen, unsere Wasserkanister auffüllen und schliesslich in seinem Häuschen – welches zur Hälfte aus einem Wohnwagenteil besteht – eine Eimer-Dusche nehmen. Luca backt noch einen Apfelkuchen und hilft die Hühner vor dem etwas übermotivierten Hund zu retten, bevor wir wieder weiterfahren und in der kargen Weite vor dem beeindruckenden Vulkan die Nacht verbringen.

Was für ein Glück, dass wir nicht weitergefahren sind. Weil irgendwann nachts schreibt uns der nette Herr (mit dem wir uns einmal mehr nur über google translate unterhalten), dass wir einen Beutel mit Kleidern bei ihm vergessen haben. Also kommen wir am nächsten Tag zurück. Und fahren mitten in eine Familienfeier – schliesslich ist Wochenende? Es gibt wieder Tee und die 16-jährige Tochter fragt uns nach dem Kuchenrezept. Wir wollen es ihr geben, aber eigentlich wollen sie, dass wir gleich zusammen backen. Ok, warum auch nicht? Es scheint so, als wäre es für alle das erste Mal backen. Die Jugendliche fährt noch schnell mit dem Auto ins Dorf um Mehl zu besorgen, irgendwo unter einem Sofa wird ein mobiler Elektro-Ofen ausgegraben und eine Schüssel gesucht. Wir schmeissen alles in eine Form und hoffen, dass es gut wird… und es schmeckt allen 🙂 In der Zwischenzeit lässt sich ein super schick gekleidetes Brautpaar in dem Garten fotografieren, wir packen jetzt aber wirklich alles ein und machen uns auf den Weg Richtung Doğubeyazıt.

Überraschungen am Van See

Die nächsten Tage verbringen wir im und um den Van See. Dort treffen wir erneut super nette Piloten, unter anderem Kadir und Halim der Polizist. Aber auch dieses Mal sind wir einfach nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es fliegt zwar, aber weder wirklich hoch, noch wirklich lang. Dafür zeigen sie uns ein paar super schöne Plätzchen am See, wo wir ungestört ein paar Tage verbringen können. Ausserdem lädt uns Kadir zu einer kurdischen Hochzeit von seinem Freund ein. Wir tauchen also bei ihm zu Hause auf – Luca hat sich sogar vorbereitet, indem er sich einen Schnauzer rasierte – und werden direkt in traditionelle Kleider gesteckt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letze Mal ein Kleid trug. Alles glitzert und funkelt und wir fahren auf das Fest, wo wir niemanden kennen. Der Polizist hört auch davon und kommt uns mittendrin besuchen um noch schnell ein paar Selfies zu machen. Wären doch alle Bullen so nett, was…

Wir werden zum Tanzen überredet und trippeln mit allen in einem grossen Kreis durch den Saal. Den Rhythmus der Trommel und der Flöte bekommen wir aber irgendwie nicht so richtig in unser System. Macht nichts, es freuen sich anscheinend trotzdem viele Menschen über unsere Anwesenheit, zumindest werden viel Fotos von uns geschossen.

Tierischer Besuch

Die Tage am See sind sehr entspannt. Luca kann fliegen, ich kann schreiben, wir können jeden Tag schwimmen gehen, obwohl schon Oktober ist und wir uns auf 1640m befinden und den Sonnenuntergang geniessen. Das denkt sich an einem Abend wohl auch ein Arbeiter mit einem riesigen Truck. Er fährt neben uns auf den Kiesstrand und geniesst eine Pause, bis er merkt, dass er feststeckt. Wir versuchen ihm zu helfen, aber es nutzt nichts, er gräbt sich ständig nur weiter im Kies ein und rutscht Richtung Wasser. Letzte Chance: er ruft seine Arbeitskollegen an, die ihm zu Hilfe eilen sollten. Davor will er uns aber noch ein kleines Kätzchen zeigen, welches er sich heute besorgt hat, um nicht mehr so viel Unglück in seinem Leben zu haben. Aber was soll ich sagen? Ein Moment nicht aufgepasst und schon verabschiedet sich das Tier in den Tiefen des LKWs und ward nicht mehr gesehn.

Wir hören es noch jämmerlich maunzen bis es auf einmal ganz still wird. Mit Futter und Lockrufen versuchen wir es wieder ans Tageslicht zu befördern, aber wir wissen einfach nicht wo es sitzt, und die Angst ist gross, es beim Losfahren irgendwie zu verletzen. Er erzählt uns auch noch ganz beiläufig, dass er das Tier während seiner Arbeit eigentlich gar nicht bei sich haben darf. Irgendwann taucht seine Mannschaft auf und lacht ihn aus, schimpft mit ihm… toxische Männlichkeit vom Feinsten. Er tut mir leid, aber wir können in dem Moment einfach nichts mehr machen. Bis er dann auf einmal völlig aufgeregt wieder bei mir am Bus steht und mir das Kätzchen in die Hand drückt. Sein Name ist Şanslar – das bedeutet Glück auf Türkisch. Er bittet uns darauf aufzupassen. Was wir natürlich auch machen. Fast drei Tage lang, bis wir ihn endlich wieder treffen und ihm seinen mittlerweile frechen, verspielten, vollgefressenen Kater wiedergeben können. Oh wie gern wir doch ein Reisekätzchen hätten…

Wiedersehen und Entscheidungen

Während wir einfach nicht wissen, wie weiter, ob, wann und wie wir in den Iran sollen, fahren wir noch ein bisschen um den See herum. Wir treffen auch die Dänin Emi wieder, die mit uns im Gipsy Village (Georgien) war und mit den gleichen Entscheidungen kämpft. Mit ihr campen wir weit entfernt von jeglichen Strassen unter Mandelbäumen… und merken früh genug, dass es Bittermandeln sind und wir jetzt vielleicht besser sofort aufhören die zu pflücken!

Wir fliegen auch nochmal weiter im Norden mit einem Lehrer, einem Schulleiter und seiner Familie an einer Krete entlang (Medaveng Dağı). Er nimmt seine super talentierte Tochter vor allem darum mit, weil sie unsere Dolmetscherin ist 🙂 Wir essen gemeinsam in einem Picknick Park, wie es sie so viele in der Türkei gibt, und fahren weiter auf einen Vulkan (Nemrut Dağı), der auch von Bären besiedelt sein soll. Das Wetter schlägt auf dieser Höhe um Richtung Herbst, die Bäume verfärben sich langsam und es wir nachts kälter. Bären sehen wir allerdings keine. Nur ihre Hinterlassenschaften, die mit viel Plastik vermischt sind. Das Müllproblem ist überall im Land vorherrschend, und natürlich ernähren sich die Tiere dann früher oder später auch davon. Hauptsache wir versuchen das immer noch auf der individuellen Schiene in den Griff zu bekommen…

Aaaanyway… Das viele Hin- und Herfahren hat uns dann doch dazu getrieben eine Entscheidung zu fällen: wir fahren in den Iran. Ich hasse das Kopftuch jetzt schon und diese Instrumentalisierung von Religion sowieso und Persisch können wir auch nicht, lesen können wir nichts und die Bewilligung zum Fliegen haben wir auch nicht bekommen und wahrscheinlich sind wir einfach wahnsinnig naiv, aber es war unser Ziel, wir haben das Visa, wir sind nervös, wir sind gespannt, wir wollen weiter… Also wird alles an Alkohol vernichtet, die Drohne versteckt, die Kameramikrofone auch, meine Haare tauchen unter und wir fahren los Richtung Grenze…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.