Fliegen in Gudauri, tanzen in Shovi

Wir fahren in den Norden, auf nach Gudauri, dem nächsten Paragliding Hotspot. Die Fahrt dauert lang, so halten wir dazwischen noch bei Ananuri (historische Festung mit zwei Kirchen) für eine Nacht. Der Spot wurde uns von Maarten empfohlen, einem Piloten aus Südafrika. Wir haben den Kontakt von Kira, die ihn zuvor auf ihrer Reise hier in Georgien kennengelernt hat. An diesem Spot treffen wir auch Kurt. Der Niederländer ist mit einem ziemlich alten Bus unterwegs, Fotograf und bereist eigentlich seit 20 Jahren die Welt.

Gleitschirmparadies Gudauri?

Am nächsten Tag kommen wir dann an, in einem weiteren Flugparadies. Nur, dass es heute wahnsinnigen Nebel hat. Schon die Straße hoch in das eigentliche Skigebiet, das knapp vor der russischen Grenze liegt und von unendlich viel LKWs befahren wird, war im Nebel kaum sichtbar. Wir kämpfen uns an einer Ruine vorbei und halten auf dem Startplatz. Wir sehen: nichts. Es ist so dicht zu, dass wir nach 2m in graue Wände blicken. Und trotzdem steht nach einer halben Stunde ein Bus neben uns: Maarten hat uns gefunden! Er lädt uns zu sich ein (er hütet gerade ein Apartment für einen Freund) und wir nehmen das gerne am nächsten Tag für eine warme Dusche an. Dann erkunden wir die Gegend mit ihm, lernen andere Pilot:innen kennen und fahren von einem Startplatz zum nächsten.

Heute stimmt aber der Wind nicht. Er bläst viel zu stark. Maarten macht sich noch am gleichen Tag auf den Weg weiter, er will nach Shovi auf ein Festival. Auch wir haben Karten für das Rokva-Festival und verabreden uns mit ihm für nächstes Wochenende.

Menschen kennenlernen

Auf dem beliebtesten Startplatz ist unendlich viel los. Hier ist der arabische Tourismus Hot Spot Georgiens. Ein Tandem fliegt nach dem anderen, alles wirkt chaotisch und wenig geregelt. Es kommt immer wieder zu Streit und Auseinandersetzungen zwischen den Pilot:innen und den verschiedenen Agenturen.

Aber wir lernen auch sehr nette Menschen kennen. Da wäre Oto, ein junger, wahnsinnig sympathischer Georgier, ein Tandempilot in unserem Alter, der selbst einen VW T3 fährt und dessen Freundin Veganerin ist, Richard und Charlotte, ein Paar aus den Niederlanden, die seit 12 Jahren on and off mit ihrem Defender durch die Welt reisen und Tuli, ebenfalls aus den Niederlanden, die vor 3 Jahren angefangen hat zu fliegen (in Interlaken) und jetzt hier schon Tandemflüge anbietet. Sie ist natürlich sehr beliebt, denn gerade muslimische Frauen wollen oder dürfen oder können nicht mit einem Mann gemeinsam Tandem fliegen. Wir stehen ein paar Tage/Nächte am oberen Startplatz „Bidara“. Sonst ist hier niemand.

Bianca schreibt, Luca fliegt

Unser Schlafplatz und gleichzeitig auch Startplatz befindet sich auf 2’400 m ü.M. Das heisst wir geniessen am Tag eine wunderbare Aussicht (wenn wir nicht gerade in den Wolken sind) und in der Nacht sehr kalte Temperaturen. Gut funktioniert unsere Heizung sogar in der Höhe (Spoiler: noch funktioniert sie, noch machen wir uns keine Gedanken dazu, noch ist alles gut…). Bianca widmet sich ihrer Masterarbeit und ich gehe fliegen.

Ich bin alleine, denn die dutzenden Tandempiloten starten alle vom unteren Startplatz. So wage ich beim ersten Flug noch nicht viel und lande dementsprechend nach fünf Minuten unten auf der Wiese. Am zweiten Tag ist der Wind etwas stärker und ich etwas mutiger. So kann ich die grüne Felswand bis auf 3’000 Meter erklimmen und in Mitten von Adlern über den Kaukasus blicken. An der Bidara-Krete fliege ich fast immer alleine, denn für die Tandemindustrie ist wegen der Holperstrasse ein Start von hier zu umständlich. Das kommt mir sehr gelegen, denn der Flugverkehr der Tandems ist zum Teil etwas chaotisch.

Am dritten Tag oder so, besuchen wir die Tandempilotin Tuli, für eine Dusche, ein gemeinsames Bier und Pommes und um einen Vogel zu retten. Wir parken vor ihrem Apartment und Bianca kann es dann den nächsten Tag zum arbeiten verwenden. Am Abend lernen wir noch mehr Niederländer kennen, und Tandempiloten aus Kolumbien und irgendwann landen alle bei Tuli in der winzigen Ein-Zimmer Wohnung. Zu elft quetschen wir uns um den kleinen Couchtisch, trinken Bier und Wein und essen Borschtsch. Es fühlt sich an wie eine Studi-Party, auch wenn der Altersdurchschnitt deutlich höher liegt. Spaß macht es aber mindestens so viel wie früher. Und schon damals waren die besten Plätze der Party in der Küche, das hat sich nicht verändert.

Festivalerlebnis in Shovi

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zum Rokva Festival. Eigentlich wäre es ziemlich nahe, aber Südossetien liegt dazwischen. Das gebirgige Gelände südlich vom großen Kaukasus ist de facto unabhängig, aber seine Souveränität ist kaum anerkannt. 2008 kam es dann zu dem „Kaukasuskrieg“ nachdem Russland die Unabhängigkeit des Gebiets anerkannte. Viele mussten fliehen und bis heute ist es für sie unmöglich für sie zurückzukehren. Und für uns ist es unmöglich durchzufahren. Also einmal alles rundum.

Das dauert, aber wir müssen sowieso noch einmal nach Tbilisi um eine Alubox zu holen, die wir uns anfertigen ließen. Darin sollen in Zukunft unsere Gleitschirme verstaut werden. Unsere Tasche auf dem Dach war ja bereits nach ein paar Wochen leider nur noch von innen her wasserfest. Sprich, sie hat liebend gerne den Regen aufgenommen, aber einfach nicht mehr abgegeben.

In Shovi dann 1-2 Tage später angekommen treffen wir wieder auf Maarten, Kurt und lernen außerdem auch Mirja kennen. Sie ist eine Reisende aus Deutschland, ebenfalls im Bus, die eigentlich auf der Suche nach einer neuen „Base“ ist und sie vielleicht hier in Georgien gefunden hat. Maarten hat zwar den „besten Platz für Götter“ gescoutet… aber der liegt direkt auf dem Hügel über dem Festivalgelände. An sich geil, aber leider müssen wir uns bei den Sound Checks schon eingestehen, dass wir zu alt für diese Nähe und Lautstärke und Art der Musik sind. Also verziehen wir uns ca. 10 Minuten weiter entfernt in den Wald, um zumindest weg vom Bass schlafen zu können. Denn das Programm hier beginnt am Freitag um 16:00 und zieht sich bis Montag durch. Jeden Tag hat es Pausen von vielleicht 2 Stunden zwischen dem letzten DJ Set mittags und der ersten Band nachmittags.

Wir geniessen die Bands und wundern uns über die Essens- und Bierpreise, die sich jeden Tag verändern. Sie steigen und fallen und irgendwann geben wir auf bei dem Versuch das zu verstehen. Wir tanzen, lachen, trinken, lernen neue Leute kennen, genießen das Wetter und die Partyatmosphäre. Als dann nach drei Tagen die letzten Gäste abziehen, bleiben wir noch gemütlich auf unserer Waldwiese stehen, Kurt holt seinen Beamer aus dem Van und wir kochen gemeinsam, um dann im selbstgebauten Freiluftkino den Film „24 hours Party People“ zu sehen.

Tragischer Unfall in Gudauri

Zwei Tage nachdem wir Gudauri verliessen erreicht uns eine Nachricht von Tuli: Ein Tandempilot mit Passagier sei verunglückt und der eingesetzte Rettungshubschrauber zerschellte an der Felswand. Dem Hubschrauber flog noch während des Einsatzes ein Rotor weg. Einfach so. Die ganze 8-köpfige Mannschaft kam dabei ums Leben… Maarten zeigt uns ein Video davon, welches auf Facebook kursiert. Zuerst können wir gar nicht glauben, was wir da sehen, so surreal und unverständlich sind die Bilder vor unseren Augen. Mit jeder Minute werden mehr Details verbreitet und das Unglück ist riesig. Viele, die wir vor ein paar Tagen kennengelernt hatten, waren live dabei, mussten alles mitansehen… Unser Beileid ist natürlich bei allen Betroffenen, auch wenn uns die Worte fehlen, es ausdrücken zu können…

Der Innenminister Georgiens verkündet noch am gleichen Tag an der Unfallstelle, dass das Gleitschirmfliegen vorübergehend ausgesetzt wird. Entweder man findet strengere Regulierungen oder das Gleitschirmfliegen wird komplett verboten. Es ist für uns immer noch schwer zu fassen, was da passiert ist. Wir sind gerade am Festival in Shovi und wollen eigentlich feiern, irgendwie fühlt sich das aber natürlich schräg an…

Die Weiterfahrt

Einen Tag nachdem das Festival vorbei ist brechen auch wir dann auf. Wir, das sind natürlich wir zwei, aber mit dabei sind auch Maarten und Kurt. Kurt hat nämlich seinen dritten Platten in einer Woche und kein Ersatzrad mehr. Deswegen fahren wir alle gemeinsam Richtung Kutaissi, um ihm zwischendurch das Rad wieder mit Maartens Pumpe aufzufüllen. Irgendwo beim Shaori Reservoir gibt der Reifen aber völlig auf. Also übernachten wir hier, packen Kurt am nächsten Tag in unseren Bus und fahren mit ihm zu einem Ersatzreifenhändler… doch davon im nächsten Post dann mehr.

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