Fliegen in Aguergour

Die Grenzen Marokkos werden am 7. Februar geöffnet. Am 4. Februar allerdings erreichen uns dann die Nachrichten, dass dies weder für die Landes- noch die Seegrenzen gelten wird. Lediglich der Luftraum ist wieder offen. Unsere Fähre wäre am 16ten und wir geben noch nicht auf. Wir wollen die letzte Woche hier noch fliegen, verabschieden uns von diesem wunderbaren Projekt und den lieben Menschen und fahren nach Aguergour. Es sind die „magischen Berge“ Marokkos. Überraschenderweise treffen wir hier Piloten, die wir schon aus dem Süden kennen (der Franzose Jean-Maroc und der Marokkaner Boukous). Die Paraglidingfamilie ist hier sehr klein, aber dafür umso herzlicher 🙂

Am ersten Tag dreht sich der Wind innerhalb von 5 Minuten von Nordwest nach Ost und wir können nicht fliegen. Es ist viel zu gefährlich, da wir jetzt im Lee wären. Also da, wo man mit dem Gleitschirm eigentlich nie sein will. Dafür lernen wir jetzt auch Mourad und Hicham, zwei Brüder von Atlasparagliding kennen. Mit ihnen fahren wir auch am nächsten Tag nach Imlil, da einer ihrer Freunde Geburtstag hat. Das wissen wir aber nicht und vollkommen ungeplant düsen wir zwei Stunden durch den hohen Atlas, crashen einen Geburtstag und spielen am Fusse des Djebel Toubkal Fussball mit ein paar Kindern aus dem Dorf…

Bibi’s Wahrnehmung:

Der Ort Aguergour ist ein bisschen wie das Nid d‘aigle: Zum Gleitschirmfliegen ausgelegt, viel lässt sich sonst eigentlich nicht machen. Dafür haben wir hier unsere ersten Sonnenuntergangsflüge, das heisst wir kommen erst zum Landen, wenn die Sonne schon fast verschwunden ist. Es gibt wahnsinnig viel Tandempiloten hier und der Himmel ist zu der Zeit immer voll mit Gleitschirmen. Der Wind zum starten ist unglaublich stark. So stark, dass wir in der Schweiz wahrscheinlich nicht starten würden. Hier ist das aber normal, und die Marokkaner haben ihre Schirme voll im Griff. Wir sind froh, dass uns Zouhair und Abdellah in Boulemane so viel gezeigt hatten, so schaffen es auch wir hier langsam immer wieder in die Luft.

Luca fällt das Starten leichter. Ich habe ständig mit meiner Angst zu kämpfen, mich wieder zu verletzen. Dazu kommt noch, dass hier Jugendliche aus dem Dorf am Startplatz sind und mir vermutlich nur helfen wollen. Wir verstehen uns aber nicht, die Sprachbarriere ist zu gross. Ich will meine Ruhe beim Starten, ich will mich konzentrieren können und sicher sein, dass alles passt. Ich will nicht von Buben und Jugendlichen umzingelt werden, die an meinen Leinen rumspielen und an meinem Schirm, die mir irgendwas in ihrer Sprache zurufen, lachen, dauernd MADAME schreien und mich rausschupfen wollen. Mir ist das dann zu viel. Ich packe zusammen und breche ab.

Ich bin enttäuscht von mir und von der Situation, ich bin es leid immer die zu sein, die Angst hat und ich bin es leid zu versagen. Es ist ein schwieriger Tag. Ich kann meinen Schirm zu Mourad ins Auto schmeissen und wandere dann zurück zu unserem Bus. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich daran gedacht habe aufzuhören an diesem Tag… Mit Boukous war ich dann am nächsten Tag wieder oben. Er ist unglaublich lustig und die Ruhe selbst. Er erinnert mich in seiner Art auch immer an unseren alten Fluglehrer Herbert. Damit kann ich umgehen. Und mit ihm komme ich auch in die Luft. Danke nochmals dafür…

Luca’s Aguergour Erfahrungen:

Auch meine Starts sind abenteuerlich. Schirm auslegen und die Leinen sortieren ist bei dem starken Wind sehr anspruchsvoll. Ich bin froh um die Hilfe der Dorfjungen, auch wenn diese ziemlich frech sind. An einem Nachmittag mit besonders starkem Wind getraue ich mich nicht zu starten und warte noch. Mohammed, ein Dorfjunge, kommt vorbei und beginnt für mich den Schirm bereit zu machen. Er fragt mich, ob er mit dem Schirm spielen darf.

Da er anscheinend gut mit dem starken Wind umgehen kann, willige ich ein. Dann kommt sein Freund und ebenfalls Schafhirte Zaccharia um die Ecke. Ich schätze er ist acht Jahre alt und wiegt vielleicht dreissig Kilo. Mein Gleitschirm ist für 70kg ausgelegt. Mohammed will den Gleitschirm seinem Freund übergeben, der setzt sich gleich in das Gurtzeug. Ich realisiere gerade noch rechtzeitig, was da geschieht und verbiete es. Wenn die Jungs so optimistisch und mutig sind, kann ich bei dem starken Wind bestimmt auch etwas „ground-handeln“ (den Schirm am Boden kontrollieren) denke ich. So ziehe ich den Schirm auf und werde innert einer Sekunde noch während dem umdrehen fünf Meter hoch in die Luft gezogen – die Thermik über dem Startplatz ist superstark. Ich möchte mir nicht vorstellen, was mit dem kleinen Zaccharia geschehen wäre…

Einmal in der Luft ist es ein unglaubliches Gefühl. Wind und Thermik sind so stark, wie ich es noch nie erlebt habe. Trotzdem fühle ich mich sicher, da beides ziemlich konstant ist. Es wird mein längster Flug bis jetzt. Fast drei Stunden fliege ich in der Gegend herum. Ich fliege über einsame Schafhirten, abgelegene Bergdörfer und komme bis über die magischen Berge, die mich so sehr anziehen.

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