Workaway im bunten Gipsy Village

Irgendwie ging uns das alles zu schnell. Wir wollten noch gar nicht hier sein, der Abschied von der Türkei war sehr abrupt. Auch wenn es schön war ein paar Tage in Batumi zu verbringen, mit lieben Menschen, brauchen wir einen Platz wo wir wieder ankommen können. Also schreiben wir einfach allen Workaways in Georgien, die interessant klingen. Und siehe da, noch am selben Tag bekommen wir eine Antwort von Nikita vom Gipsy Village. Das liegt allerdings im Süden von Tbilisi, also nicht gerade ums Eck. Wir sind aber so motiviert, dass wir nur eine Nacht Pause auf unserem Weg machen und schon vor ihrem Tor stehen.

Willkommen im Gipsy Village

Das Wetter ist wieder sonnig und heiß, es ist später Nachmittag und die Hunde bellen. Auf den Wiesen verteilt stehen Männer unterschiedlichen Alters und tragen Holz durch die Gegend. Wir warten ein bisschen bei einer Feuerstelle, bis Nikita auftaucht. Er ist verantwortlich für die Farm an diesem Ort. Dieser Ort.. vielleicht beschreiben wir ihn zuerst ein bisschen.

Wir sind in Assureti, oder Elisabethtal. Hier handelt es sich um eine alte, deutsche Siedlung aus dem 19. Jhdt. (Außerdem kam anscheinend Stalins Frau aus dieser Siedlung, oder ihre Familie.. bis vor drei Jahren hiess hier noch alles Stalinstraße, heute Schwabenstraße). Die alte deutsche Farm, die jetzt Gipsy Village heißt, liegt außerhalb von allem in einem kleinen Tal. Zwei Russen wollen hier wohl irgendwann in naher Zukunft eine Art Glamping im Ökostil eröffnen. Aber so weit ist es noch nicht. Dennoch sind hier sehr viel Menschen. Etwa die Hälfte sind russische Arbeiter. Sie helfen dabei Tipis zu bauen, den Pool fertigzustellen, oder eben Holz durch die Gegend zu tragen. Warum so viele Russ:innen? Wegen dem Krieg. Sie unterstützen Putin nicht, wollen nichts mit ihm und seinem Krieg zu tun haben, wollen offen sagen können, dass es sich um einen Krieg in der Ukraine handelt, nicht um einen Konflikt.

Die andere Hälfte ist hier über Workaway, also alles Volontäre, die 4-5h am Tag arbeiten für Unterkunft und Essen. Dieses gibt’s 3x am Tag. Mittags und Abends von Natalia, einer Kolumbianerin, die mit ihrem Mann auf Fahrrädern unterwegs ist. Im Gipsy Village sind sie seit ein paar Monaten, letzten Winter waren sie ein halbes Jahr in der Türkei. Als sie hört, dass wir beide Spanisch sprechen sind wir quasi schon Teil ihrer Familie. Wir helfen ihr immer wieder unter der Woche mit dem Kochen, an einem Wochenende machen wir sogar gemeinsam Arepas – ein kolumbianisches Nationalgericht aus Maismehl mit Tomaten Salsa. Luca fühlte sich dabei ein bisschen wie auf seinem Erasmussemester und für Natalia war es ein Stück Heimat.

Ein Tag als Workaway Volunteer

Unsere Aufgaben sind unterschiedlich. Es fällt den Volunteers zu entweder Frühstück zu machen, Natalia am Mittag oder Abend zu helfen, oder den Abwasch zu erledigen. Und das ist um einiges mehr Arbeit, als es anfangs den Anschein hatte. Denn wir müssen für etwa 20-30 Leute kochen, es gibt keinen wirklichen Ofen, Trinkwasser muss fast täglich von einer Quelle herangefahren werden, der Strom fällt regelmässig aus, das Leitungswasser (das man nur zum waschen verwenden sollte) ebenfalls, die Küche ist im Freien und muss z.T. vor den Hunden verteidigt werden, Leute wollen Fleisch, das gibt es aber kaum (Ich als Veganerin bin hier ausnahmsweise anscheinend NICHT die Anspruchsvollste oder Anstrengendste was das Essen angeht, was für eine Erleichterung :D), dafür gibt es permanent frisches Gemüse aus dem Garten.

Das klingt zwar wunderbar (find ich auch immer noch hervorragend) heißt aber auch, dass Menschen, denen Gemüse ziemlich egal ist, jetzt fast täglich Zucchini und Kohl essen müssen. Und zwar in allen möglichen Formen: von Suppe über Grillgemüse, von Zucchinibrot über -kuchen, Pasta und irgendwann wird es sogar zu Limonade verarbeitet. Der Vorrat scheint endlos, da muss die Phantasie eben auch mithalten.

Wenn wir nicht Küchendienst haben, fangen wir um ungefähr 7:00 Uhr an zu arbeiten. Da steht die Sonne zwar schon am Himmel, aber dank der umliegenden Berge brennt sie noch nicht auf uns herunter. Wir arbeiten im Garten. Das heißt wieder einmal vor allem jäten, oder Felder umpflügen, Gras schneiden und zusammentragen, Tomatenpflanzen hochziehen, neue Setzlinge pflanzen, umtopfen oder neu säen. Aber vor allem jäten. Ab spätestens 11:00 Uhr ist es dann so heiß, dass wir wieder aufhören. Dafür sind wir dann schon verschwitzt genug, um in der kleinen Lagune zu baden, die der Fluss am Rand des Geländes bildet.

Es hat hier zwar auch einen Pool, aber der Fluss ist viel angenehmer, liegt im Schatten und das Wasser ist kühl. Natürlich wird der Pool aber auch nicht ganz ignoriert. Gerade nachts, wenn es schon dunkel ist und das Wasser noch warm ist er super einladend… oder wenn man nach der Sauna noch eine Abkühlung braucht (jaaaa, das Gelände hat eine eigene Sauna!). Jedenfalls gibt’s danach immer ein hervorragendes Mittagessen und irgendwann zwischen 4 und 5 arbeiten wir nochmals so 2 Stunden auf dem Feld. Es kann auch vorkommen, dass wir nach dem ganzen ernten der Zucchinis, oder des Basilikums oder so, das Zeug einmachen, zu Pesto verarbeiten, oder trocknen, einlegen oder irgendwie kreativ versuchen so lange wie möglich haltbar zu machen. Am Ende gibt’s kiloweise Sauerkraut, Kohlrabi als Girlanden aufgehängt, Zucchinis als Chips getrocknet…

Die Workaway Volunteers

Unsere Freizeit verbringen wir entweder entspannt am Fluss, am Abend gemeinsam singend am Feuer, oder in irgendeiner Hängematte. Die anderen Volunteers sind alle super nett und spannend. Da wäre Dice, ein Japaner, der vor über einem Jahr ausgestiegen ist. Er besitzt lediglich einen kleinen Rucksack und reist von einem Workaway zum nächsten und hat keinerlei Interesse in die „Matrix“ Tokyos zurückzukehren. Kira, auch eine Langzeitreisende, die von Berlin mit ihrem Freund und dem Bus hierhergekommen ist. Er ist gerade in Deutschland und sie nutzt die Zeit um mit uns ein Interview über Frank zu drehen. Frank Zunk bezeichnet sich selbst als Friedensaktivist, ist 46 und seit 2 Jahren mit dem Fahrrad unterwegs. Die Reise macht er im Namen von „Frieden und Völkerverständigung“ und sein Ziel ist es 2025 im Friedenspark in Hiroshima anzukommen. Luca gibt Tipps und gemeinsam filmen wir ihn ein bisschen, wie er seine Geschichte erzählt.

Ausserdem ist da noch Sam, einen Niederländer, der vor dem Studium noch reisen gehen wollte und einmal von einem Siebenschläfer attackiert wird, Ilke, die zuvor in Indien war und ihre Yogaausbildung gemacht hat, Antoine und Génola die beide mit dem Fahrrad unterwegs sind (wir wollen sie im Iran wieder treffen, im Moment sind sie in Kyrgistan), Jutta und Lukas, die auch einen Bus haben, den aber hier stehen lassen, um eine Fahrradtour durch Armenien zu machen (und sich vor allem auf den Winter in den Bergen freuen, denn sie haben ihre Skiausrüstung dabei), Anton, ein 22jähriger Deutscher, der schon seit ein paar Wochen hier als Schreiner mitarbeitet, Max, ein russischer Freund der zwei die die Farm leiten (Nikita und Anna) und der eigentlich gerade seine Aufenthaltsbewilligung in der Ukraine erhalten hätte und Erin, eine 28jährige Amerikanerin, die sich 8 Monate Zeit genommen hat, um die Länder zu sehen, die sie am meisten interessieren. Georgien noch ein paar Wochen, dann Südkorea, zuvor war sie in London. Sie hat mit Abstand am meisten Workaway Erfahrung, dieses hier ist ihr 10ter.

Es arbeiten hier auch einige aus Russland an der Umsetzung der Unterkünfte für die Gäste. Sich mit ihnen zu unterhalten ist schwieriger, weil nicht alle so gut Englisch sprechen. Im Vergleich zu der türkischen Gastfreundschaft wirken sie sehr viel kühler und zurückhaltender, aber nach ein paar Tagen bricht das alles auf. Deniz aus Belarus sitzt täglich mit uns am Feuer und heizt mit Vlad die Sauna an, wann immer wir danach fragen. Paul und seine Frau Alice sind absolute Fans von Luca und wollen immer mehr und mehr gemeinsam singen und ihn fliegen sehen.

Mit Maxim, der sich um die Quads hier kümmert, fahren sie dann zusammen auch auf die umliegenden Berge und Luca versucht ein bisschen zu fliegen. Fürs Marketing, für die Leute, aber vor allem zum Spaß. Max Nr. 2 ist nur ein paar Wochen hier, bevor er dann nach Israel fliegen wird um zu versuchen, dass er seinen Pass ändern kann. Er hat eine doppelte Nationalität und will Russland hinter sich lassen. Er kann auch gut Englisch und spaziert mit uns durch das kleine Assureti um in irgendeinem Keller einer Georgierin Wein und den lokalen Schnaps ChaCha zu organisieren. Es gibt Gleb, der das alles ein bisschen managet, Kamo, der aus Armenien ist und eigentlich kein Englisch kann, aber trotzdem mit allen IMMER sehr laut und viel redet und mit Abstand am meisten lacht.

Und dann sind da noch natürlich Nikita und Anna. Last but not least! Die zwei kümmern sich um die Farm und die Volunteers. Sie haben vor etwas über einem Jahr hier angefangen, haben mit sich die zwei nettesten Hunde, die man sich vorstellen kann, eine wahnsinnige Geduld und Kreativität.

Anna kann einem einfach alles erklären im Garten, mit einer Gelassenheit und absolut wertfrei. Keine Frage, die man stellt scheint ihr zu dumm, und sie zeigt einem alles geduldig und erklärt dabei warum man was wie machen sollte. Sie haben beide ein riesiges Wissen zu jeglichem Gemüse, aber auch der Bewässerung, der Überwinterung und der Verarbeitung. Außerdem spielen sie beide sehr gerne Brettspiele, oder eigentlich jegliche Art von Gesellschaftsspielen. Nikita hat sogar eine eigene Version von Brändi Dog hergestellt, dass von allen das „marble game“ genannt wird und süchtig macht. So verbringen wir die Abende auch oft gemeinsam um einen Tisch spielend.

Luca´s Geburtstag:

Eigentlich wollten wir nach 2 Wochen weiter, entscheiden uns aber spontan doch noch ein paar Tage länger zu bleiben: Luca hat Geburtstag. Wir haben Wein und ChaCha aus dem Dorf organisiert. Bianca war ganz viel Maulbeeren pflücken, um einen Kuchen zu backen. Außerdem waren Nikita und Anna kreativ und haben sich eine Schnitzeljagd einfallen lassen. So steht Luca auf einmal umringt von allen Neugierigen mitten im Gelände und muss Rätsel lösen. Für das erste springt er siegessicher in den Pool und entdeckt am Boden dessen eine Packung Socken.

Das zweite Rätsel gestaltet sich schon schwieriger. Er findet zwar die Apfelbäume aber das Geschenk nicht. Es stellt sich heraus, dass der Besitzer des Geländes nämlich gerade auf Besuch ist. Und der sah eine rote Metallbox im Baum hängen und dachte sich wohl „ach wie schön, die ist für mich“… Nikita kann das aufklären und die Box voller Schokolade zurückerobern. Sie ist dann jedoch nicht mehr so voll ist, wie sie hätte sein sollen. Das dritte Rätsel führt uns an den Rand der Farm in einen Abgrund. Mutig klettert Luca den Abhang durch Bäume hinab und ergattert zwei Flaschen Sekt. Ein voller Erfolg! Am Abend teilen dann alle den Kuchen, den Alkohol und die gute Stimmung am Feuer. Wir spielen sogar noch „Werwölfe“ – trotz aller Sprachbarrieren.

Der Abschied fällt uns nicht leicht. Es war schön diesen Tag und alle anderen zuvor gemeinsam zu teilen und sich kennenzulernen. Es war schön gemeinsame Ausflüge an den Wochenenden zu unternehmen und die georgische Kultur mit Hilfe von Russ:innen besser zu verstehen. Es war schön so viel lernen und mitnehmen zu können.

Vielleicht sehen wir das Gipsy Village nicht mehr, vielleicht doch, auf jeden Fall bleiben wir in Kontakt 😊

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