Gleitschirm Sicherheitskurs (SIV) in Ölüdeniz (Türkei)

Am 31. Mai ist es so weit. Wir sind an eigentlich ziemlich dem einzigen Ort, den wir schon zu Beginn unserer langen Reise geplant hatten zu besuchen: Ölüdeniz. Es ist ein „Flugparadies“, oder wird zumindest gerne als solches verkauft… wir sind gespannt.

Vom Van in eine Wohnung

Die erste grosse Veränderung ist das Aufgeben des Vanlifes. Wir haben ein Zimmer in einer Wohnung etwas ausserhalb, kurz vor Fethiye gemietet. Die Wohnung gehört dem fast 60-jährigen Norweger Jan und der fast 30-jährigen Russin Vera sowie dem kleinen Welpen Peffi. Eine interessante, aber sehr herzliche und einladende Konstellation. Wir haben temporär dieses Zimmer gesucht, weil Bianca arbeiten muss.

Damit sie in Ruhe schreiben kann, braucht es Ruhe, einigermassen angenehmes Klima und stabiles Internet. Das ist in unserem doch recht winzigen Büssli manchmal schwierig. Aber schon bald sind wir auch so sehr froh um das Zimmer. Nicht zu letzt, weil es eine Klimaanlage hat und die Temperaturen mit jedem Tag weiter steigen… das ist in der Luft zwar unsagbar angenehm, am Boden und in der Nacht ist eine Abkühlung aber herzlich willkommen… genauso wie der Pool der zu dem Gelände dazugehört.

Ok, also Bianca sitzt jetzt Tage lang vor dem Schreibtisch und langweilt sich und ärgert sich ein bisschen über ihre Lebensentscheidungen. Gibt´s auch. Aber was macht Luca? Der packt sich seinen Gleitschirm – und ab ins Geschehen.

Gleitschirmfliegen in Ölüdeniz – was zu erwarten ist

Warum soll es hier also so speziell sein? Warum so beliebt? Es ist doch auch nur ein Berg und das Meer und ein Strand? Das stimmt zwar, aber trotzdem ist es ein Erlebnis. Die vier Startplätze (auf 1200m, 1700m, 1800m und 1900m) liegen auf dem Berg Babadağ. Der offizielle Landeplatz (den auch alle Tandempilot:innen verwenden) ist der Strand in Ölüdeniz – in der blauen Lagune. Alleine der Blick von oben ist der Flug wert. Meistens starten wir bei 1700m bei südwestlicher-westlicher Windrichtung von wo man dann entspannt hinunter gleiten kann. Auch ein Flug ohne Thermik dauert durch den grossen Höhenunterschied schon 20 Minuten und bietet den Pilot:innen eine unglaubliche Aussicht.

Bibi über der blauen Lagune

Die Bedingungen um in die Luft zu kommen waren für uns schon lange nicht mehr so einfach wie hier: Fast jeden Tag stimmt die Windrichtung und -stärke, es gibt eine Luftseilbahn, die einem direkt zum asphaltierten, grossen Startplatz bringt, am Landeplatz sind haufenweise Bars und Restaurants. Wir geniessen diesen Komfort, merken aber auch, dass wir dadurch hier erstmal nicht in Kontakt mit der lokalen Gleitschirmszene kommen. Diese besteht in der Hochsaison aus angeblich 300 Tandempilot:innen, die täglich bis zu fünf Flüge machen. Es ist kurz vor Hauptsaison und bereits sehr viel los. Die Tandemflug Unternehmen sind perfekt organisiert, die Tourismusmaschinerie läuft auf Hochtouren.

Wir lernen Charline und Thomas kennen, die auch mit Van und Gleitschirmen unterwegs sind. Als Thomas von unserem geplanten Sicherheitstraining erfährt, entscheidet er sich mitzumachen. Es bleiben noch ein paar Tage, vor dem Start unseres Kurses. So verbringen wir viel Zeit in der Luft und am Strand von Ölüdeniz.

Abenteuerflug in das „Butterfly Valley“

Bei einem Flug vom Babadağ hat man einen atemberaubenden Blick auf die mit vielen Buchten versehrte Mittelmeerküste. Davon ist das Schmetterlings-Tal eine besonders reizvolle, da sie nicht durch eine Strasse erschlossen ist. Zum Strand in der tiefen Schlucht kommt man nur über das Wasser, oder aus der Luft. Ich wähle natürlich den Luftweg. Gemeinsam mit Thomas wage ich den kleinen Abenteuerflug. Nach sieben Kilometern sind wir über dem Tal. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, denn den normalen Landeplatz würden wir nicht mehr erreichen. Während dem Kreisen um Höhe abzubauen wird der vorher noch winzige Strand aber immer grösser und die Landung ist gar nicht so anspruchsvoll.

Just like James Bond!

Britischer Partyboot Tourist, nach meiner Landung im Butterfly Valley

Sicherheitskurs (SIV) mit Sinan Çalışkan

Ölüdeniz ist einer der bekanntesten Orte weltweit für Sicherheitstrainings. Britische Instruktoren kommen bereits seit Jahren mehrmals pro Jahr hierher. Die Kurse sind teuer und oft schnell ausgebucht. Zu schnell, für unseren Reisestil ohne Zeitplan. Bei unserem letzten Gleitschirm-Spot in der Türkei (Pamukkale) haben wir den Kontakt von Sinan Çalışkan erhalten, einem renommierten türkischen Piloten und Instruktor. In den letzten Tagen flog Sinan noch auf den vierten Platz beim diesjährigen Çameli Spring Cup (ein Gleitschirm Wettkampf im Streckenfliegen), jetzt ist er unser Coach beim Sicherheitskurs.

Die kurze Einführung mit Tutorial-Videos am Boden ist eher abschrecken als motivierend. Beim Manöver der Steilspirale sinkt man um die 15 m/s und es wirken so starke G-Kräfte, dass das Sichtfeld immer kleiner wird, bis zur Ohnmacht (worst case). Beim „Full Stall“ wird der Gleitschirm so stark abgebremst, dass er nicht mehr fliegt. Pilot:in wird dadurch zurückgeschleudert und wenn die Bremse im falschen Moment losgelassen wird, fällt man in den Gleitschirm (worst case).

Sinan erklärt uns all das in einer tiefen Ruhe und ermutigt uns, dass schon alles gut gehen wird. Er hat alles schon Hunderte Male gemacht. Am nächsten Tag starten wir mit den ersten Übungen. Es läuft ganz gut. Die Basics haben wir schnell im Griff, so dass wir von nun an nur noch die fortgeschrittenen Manöver trainieren: Spins und Full Stall. Wir verstehen uns gut mit Sinan und fühlen uns in sicheren Händen. Das ist enorm wichtig für uns, denn es ist sehr intensiv. Nach zwei Flügen sind wir komplett fertig und entscheiden uns, für heute Feierabend zu machen. In der Nacht wiederhole ich im Traum die Steilspirale noch ein paar Mal, die sitzt jetzt bestimmt.

Nach vier Tagen und zehn Flügen schliessen wir den Sicherheitskurs ab. Wir sind gleichzeitig erleichtert und fühlen uns sicherer, haben aber auch (noch) mehr Respekt vor dem Gleitschirmfliegen. Wir haben gelernt, was schief gehen kann und wie anspruchsvoll es sein kann, den Schirm wieder zum fliegen zu bringen. Sinan war ein super Instruktor – vielen Dank!

Ölüdeniz – britische Parallelwelt

Zum Fliegen ist Ölüdeniz wirklich top. Alles andere fanden wir hingegen ziemlich schlimm. Der Einfluss vom Tourismus ist enorm hier und zeigt sich von einer schrägen und irgendwie traurigen Seite. Wir sind zwar auf türkischem Boden, die Kultur ist aber ein Mix zwischen England, Ballermann, China und Indien. Die Restaurants werben mit „authentic British breakfeast“ (= eine Büchse Heinz-Bohnen vor dem Menü), „best beer selection“, Fussball und mit Preisen in Pfund.

Die Partyboote verlassen den Strand bereits um zehn Uhr morgens mit lautem Bass und zocken die Touris ab mit überteuerten Getränken. Uns wird bewusst, wie privilegiert und „alternativ“ wir auf unserer Reise eigentlich unterwegs sind. Wir wissen, dass sich diese extreme Form des Tourismus auf ein paar Hotspots beschränkt. Auf „must see“ und auf „bucket list“ Orte. Glücklicherweise ist der ganze Trubel ein paar Kilometer ausserhalb bereits vorbei. Wir freuen uns, nach zwei Wochen (!) weiterzuziehen und die grölenden Karaoke-sänger:innen hinter uns zu lassen.

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