Kappadokien, Kayseri und Corona

Tschüss Ölüdeniz! Eines der touristischsten, verbautesten, aber dennoch auch eindrücklichsten Fluggebiete liegt nun hinter uns. Wir verabschieden uns von dem Zimmer mit Klimaanlage und begeben uns zurück in unseren Camper. Die Straße ruft… viel gesehen haben wir ja eigentlich noch nicht von der Türkei. Die nächsten paar Nächte verbringen wir am Meer – an einem Strand gibt es eine Bereich nur für Frauen, vollkommen abgeschottet und eingezaunt… – an einer Schlucht, mitten in einem kleinen Wald (wo wir zuvor noch einen Hitchhiker vom Regen gerettet hatten) und an einem ziemlich abgelegenen See. Kurz davor haben wir von einem Teeverkäufer eine Deko-Windmühle geschenkt bekommen (Hilfe, was macht man mit sowas???) und versuchen sie an die Schildkröte, die uns hier täglich besucht, zu vermieten. Sie will nicht. Und dann: Kappadokien – der Teil der in keiner Türkeireise fehlen darf (oder schon, wir sagen sicher niemandem, wie eine Reise auszusehen hat…)

Instagram-Himmel & Tourismus-Hölle

Alle haben vermutlich schon von diesem Ort gehört, oder ihn zumindest einmal in irgendeiner social media feed gesehen. Kappadokien liegt irgendwo im Nirgendwo, so ziemlich in der Mitte der Türkei. Die Gegend ist voll mit Höhlen, die teils bewohnt waren, und früher Rückzugsorte zu Zeiten der Belagerungen waren, heute aber meist als Hotels dienen. Oder AirBnBs, oder Guesthouses, oder halt sonst irgendwas, womit sich am Tourismus verdienen lässt. Wir kommen spät abends an und stellen unseren Freddy über dem „Love Valley“ ab. Natürlich haben wir mit einem Spektakel am nächsten Morgen gerechnet – schließlich ist hier das 1wahrscheinlich weltweit bekannteste Gebiet für Heissluftballonflüge. Als am nächsten Morgen um halb 5 das Chaos losging, waren wir dann aber doch überrascht.

Noch halb verschlafen stehen wir in unseren Pyjamas neben dem Bus und kochen Kaffee, während links und rechts von uns mehrere Tische unter kitschigen Deko-bögen aufgebaut wurden. Doch warum das? Ach so, „Love Valley“ – natürlich ist das der beste Platz für einen Heiratsantrag. Oder halt fünf parallel. Täglich. Mit Fotograf:innen, Feuerwerk und Champagner. Ab 5 Uhr steigen im Hintergrund bis zu 160 Heißluftballoone in die Luft, links und rechts von uns werden nur noch Fotos geschossen. Dann tauchen die alten Mustangs auf. Auf ihnen Frauen, die sich pompöse Ballkleider geliehen haben, und diese jetzt von einem weiteren Helfer in Szene setzen lassen.

Egal in welche Richtung man blickt, es wird inszeniert, geknipst, der beste Winkel gesucht, der Heiratsantrag nochmals gemacht, weil jetzt besseres Licht ist, noch einmal schnell schminken, noch einmal schnell Outfit wechseln… und ZACK – nach ca. einer Stunde ist alles vorbei. Die Heißluftballone landen, die Autos fahren ab, die Sonne steht schon höher am Himmel, die Golden Hour ist vorbei, alle fahren wieder in ihre Hotels oder in Restaurants, ein paar gehen sicher auch wandern und die Tourismusindustrie bereitet sich auf den nächsten Tag vor… der genau gleich ablaufen wird. Und dann wieder, und wieder und wieder…

Alles fake?

Diese ganzen Inszenierungen, der ganze Rummel um das perfekte Bild, welches dann doch nur wieder bearbeitet und verändert wird. Es ist verrückt. Wir fühlen uns, wie in einer Parallelwelt. Um mehr Einblick zu bekommen, erkunden wir die verschiedenen Täler. Es ist fast überall Eintritt zu bezahlen, natürlich kostet auch das Parken etwas und die Restaurants sind ziemlich fancy. Wir setzen uns in ein Straßencafé voller alter, türkischer Männer… und haben so zufällig das einzige gefunden, wo der Tee noch 5 Lira kostet statt 50 😉

Die Gegend ist wunderschön, der Trubel rundum ist es nicht. Wir geben allem aber noch eine Chance und bleiben erneut eine Nacht. Dieses Mal haben wir uns eine Platz gesucht, auf dem die Heißluftballons starten werden. Konkret heißt das, dass wir am nächsten Morgen noch früher wach werden – vom Aufblasen eben dieser Ballons. Es macht einen unglaublichen Krach. Einer nach dem anderen hebt sich in die Luft, unser Bus steht dazwischen, in jedem Korb zwängen sich bis zu 20 Personen. Sie heben ab und fliegen langsam Richtung Liebestal, wo vermutlich wieder mehrere Paare warten, um den perfekten Hintergrund für ihren so individuellen Heiratsantrag zu bekommen. Kleine, perfekte Scheinwelt.

Uns macht das aber irgendwie kaputt. Klar ist es amüsant zu beobachten, aber auch seltsam zu beschreiben, wie es diese Massen an Menschen immer an die gleichen Orte zieht. Für das gleiche Bild. Auf dem jedoch nicht abgebildet sein soll, wie die Realität aussieht. Für das gleiche Essen, aber am Besten halt so wie man´s kennt… Und klar sind wir mittendrin, sind wir ein Teil davon, machen auch Bilder und filmen. Es stimmt uns nachdenklich und bringt auch die Frage auf den Tisch: wie wollen wir reisen? Was wollen wir wirklich sehen, erleben? Wo wollen wir ein Teil davon sein, und was kann man eigentlich getrost vergessen, auch wenn es noch so gehyped wird?

Ruhe und Natur

Wir fahren weiter… noch mit den Gedanken zur Kritik am Massentourismus besuchen wir eine Untergrundstadt. Und finden uns in winzigen Gängen zwischen verschiedenen Gruppen gefangen. Also laufen wir im Gänsemarsch mit. Es ist kalt und beklemmend und tief unter der Erde. Wir haben genug und fahren weg von all dem. Ganz in der Nähe gibt es auch Höhlen, aber aus irgendeinem Grund sind diese noch nicht auf der Tourismuskarte angekommen. Wir erkunden die Gegend, klettern über Geröll, durch ein verlassenes Tal und fühlen uns endlich wieder wohl. Mit der Gitarre dabei hält uns eine Quad-Gruppe auf, Luca spielt für sie ein Lied und sie tanzen mit uns. Auf einem Hügel in völliger Ruhe und unter einem klaren Sternenhimmel schlafen wir ein.

Ein bisschen fliegen

Kayseri liegt auf unserem Weg, und wir besuchen die Stadt um wieder zu fliegen. Wir haben einen netten Kontakt – Selin, ein angehender Tandempilot – und können mit ihm Fliegen gehen. Am Startplatz ist unter anderem auch eine Flugschule vor Ort. Das erinnert uns an unsere Zeit vor der Prüfung,… was eigentlich noch gar nicht so lange her ist. Ein Flug liegt drin, es ist nett, aber die Landung ist verrückt. Mitten in der Stadt ist ein riesiges Sportfeld, welches wir dazu verwenden können. Aber es ist Sommer und heiss und mit jeder Minute versammeln sich mehr und mehr Menschen auf diesem Feld um Ball zu spielen, oder zu picknicken… es verwandelt sich schnell in einen vollen Park und jede Landung wird zu eine Hürdenlauf.

Nachdem wir gepackt haben und uns mit ein paar Kurden neben unserem Auto mit Google Translate unterhalten haben gehen wir mit Selin noch Kaffee trinken. Es ist zwar schon 22:00 Uhr, aber Kayseri ist eine dieser „Anatolian Tiger“ Cities: Aus dem Nichts wurde eine Stadt aus dem Boden gestampft, sehr Erdogan-verbunden, Profit orientiert und sehr, sehr konservativ. Soll heißen kein Alkohol. Das macht uns aber schon lange nichts mehr aus, wir sind sowieso müde und gehen bald schlafen.

Ein bisschen leiden

Der nächste Tag ist unglaublich langweilig und irgendwie auch stressig. Wir müssen Wasser auffüllen, uns durch ein Einkaufszentrum schlagen, an gefühlt jedem Strassenstand stehen bleiben um die Früchte der Saison zu kaufen (gerade sind es u.a. Kirschen – Luca will einen Kuchen backen) etc. Das Übliche… wir würden nämlich gerne vollbepackt und unbekümmert ein paar Tage in der untouristischen Natur verbringen. Unser erster Stopp ist an den Wasserfällen von Sizir. Und hier bleiben wir unerwartet lange. Erst kriegt Bianca nämlich Kopfweh und Fieber und nur wenige Stunden später trifft es Luca. In unserer Apotheke befindet sich noch ein einziger Selbsttest und der schlägt sofort an: Corona positiv. Die nächsten Tage versinken im Nebel. Wir schlafen viel, verlassen den Bus kaum, trinken Suppe und leiden. Die Energie einen Arzt zu besuchen fehlt uns und die Angst davor, andere anzustecken lässt uns an diesem Ort bleiben.

Einmal bekommen wir Besuch, von Mehmet, einem um Ulm geborenen Türken, der hier seine Familie besucht. Er freut sich so uns getroffen zu haben und will uns helfen. Kurz verschwindet er und kommt mit einer riesigen Packung Kekse zurück. Und entschuldigt sich dabei, dass es nicht mehr ist. Er gibt uns sogar noch den Kontakt seines Onkels, sollten wir in den nächsten Tagen Hilfe brauchen, weil er am nächsten Tag wieder nach Hause fliegen wird. Wir sind total gerührt von so viel Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft.

Ein bisschen weiter

Nachdem die schlimmsten Tage hinter uns liegen, bewegen wir uns langsam weiter. Das höchste der Gefühle liegt bei einer Stunde Fahrt pro Tag. Unsere Ziele sind immer noch sehr abgelegen, aber ein Mal trauen wir uns heiße Quellen zu besuchen (als niemand sonst da war) und auch einen Campingplatz besuchen wir. Den ersten und einzigen in der Türkei (für uns). Wir tuckern Richtung Schwarzes Meer. Freunde von Luca, die auch auf dem Weg Richtung Osten sind, aber mit dem Fahrrad, haben sich ein Paket nach Ordu bestellt, sind selbst aber schon in Georgien. Wir wollen es für sie holen und dann an der Küste weiterfahren, bis wir auf unseren nächsten Workaway ganz im Nordosten gehen werden. Eine Öko-Haselnussfarm soll der nächste, längere Halt sein. Wenn wir uns wirklich wieder fit fühlen sollten, wollen wir dort ein paar Tage verbringen…

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